Goethe brisant!

Goethe brisant!

Über Goethe wird viel geschrieben. Oft sehr gutes, zuweilen aber auch brisantes und negatives, auch in den Sozialen Medien.

 

Als Goethe-Gesellschaft wollen wir objektiv über Goethe informieren. Dazu gehören auch kritische Aspekte. Dazu werden hier die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung kurz und möglichst verständlich dargestellt. Zu den Themen gibt es die auch als pdf-Datei herunterladbaren Kurz-Aufsätze.

THEMEN:


  1. Das Heidenröslein - das me too-Gedicht Goethes
  2. War Goethe für die Hinrichtung einer Kindsmörderin verantwortlich?


Diese Reihe wird fortgesetzt. Haben Sie Anregungen? Was sehen Sie kritisch bei Goethe? Schreiben Sie uns (Kontaktmöglichkeiten s.u.)

1. Das Heidenröslein
Goethe wird vorgeworfen, im Gedicht "Das Heidenröslein" eine Vergewaltigung beschönigt, zumindest verharmlost zu haben. Dieser Vorwurf wiegt schwer. Dem ist die Goethe-Gesellschaft nachgegangen und berichtet im Folgenden über den wissenschaftlichen Stand dieser These:

Heidenröslein. Knabe sprach: Ich breche dich ... Im Bild signiert: Kuderna. Bund der Deutschen in Böhmen. Bundeskarte 414. Entwurf von F. Kuderna.

Quelle: Goethezeitportal
http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6707

Heidenröslein – Das me-too-Gedicht Goethes
von  Dr. Jens Bortloff, Mannheim



5.8.2020


In Goethes Gedicht Heidenröslein, vermutlich im Sommer 1771 in Straßburg entstanden (Goethe war 22 Jahre alt) wird oft die Verharmlosung einer Vergewaltigung gesehen. Goethe wird als Befürworter dieser Gewalttat gebrandmarkt oder diese sogar als Teil seiner Biografie vermutet.

Richtig ist, dass das Gedicht eine Vergewaltigung zum Gegenstand hat – aber nicht nur. Es ist gleichzeitig ein Mahngedicht, ein Appell, das Unrecht als solches zu bezeichnen und es nicht zu vergessen.

Wie kommen diese unterschiedlichen Sichtweisen zustande? Jedes gute Kunstwerk hat meist mehrere Ebenen. Die erste Ebene ist die wörtliche, die das natürliche Geschehen beschreibt. Die zweite lässt das bildliche Geschehen als grobe Untat der Vergewaltigung eines Mädchens deuten. Die dritte, für uns erst auf den zweiten - besser gesagt - dritten Blick erkennbare Ebene ist  „Protokoll und Mahnung eines Unrechts“ (so der Germanist Mathias Meyer). Letzteres bewirken Titel und Struktur des Gedichts sowie die Äußerungen des Rösleins. Das Heidenröslein steht vor allem als Titel an erster Stelle. Geradezu mit pochender Wirkung wird als Refrain stets das Heidenröslein wiederholt. Es wird uns gleichsam hämmernd ins Gedächtnis gebracht. Es geht um die „Bewahrung dieses Leidens im Gedächtnis“ (Mathias Meyer). So spricht auch vorausschauend das Röslein: „Dass du ewig denkst an mich“. Der Leser nimmt im Gedicht die Perspektive des Opfers ein, nicht des Täters, der als „wilder Knabe“ bezeichnet wird. Zustimmung zur Tat wird nicht vermittelt, vielmehr Sympathie, Mitleid für das Opfer, das sich wehrt („Röslein wehrte sich und stach“).

Die Einschätzung, das Gedicht verharmlose die Tat, erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, geriert es sich doch als Lied, gar Volkslied (Parallele zum aktuellen Fall des Donaulieds drängt sich hier auf) und wurde als „Lied“ von namhaften Komponisten vertont. Goethe hat jedoch das Gedicht nicht aus dem Nichts geschaffen, sondern hatte sich 1771 auf Veranlassung von Johann Gottfried Herder mit dem Sammeln von Volksdichtung und Volksliedern befasst. Bekannt ist eine volkstümliche Vorfassung (von Paul von der Aelst), die Goethe vermutlich kannte, als er das Heidenröslein schrieb. Offenbar hat ihn der Stoff nicht losgelassen und er wollte diesem seine eigene nicht aufdringliche Form geben. Es gilt, diese als Lyrik zu verstehen in unserer heutigen Welt, was uns nicht leicht fällt.

 

Grundlegend dazu die Erläuterungen von Mathias Mayer: Das Heidenröslein – Lyrik als Gedächtnis, in: ders., Natur und Reflexion – Studien zu Goethes Lyrik, Frankfurt a. M. 2009, S. 45ff.

Für diesen Hinweis danke ich sehr Herrn Prof. Dr. Reiner Wild, Heidelberg.


Text als pdf-Datei herunterladen Pressebericht des Mannheimer Morgen herunterladen

2. War Goethe für die Hinrichtung einer Kindsmörderin verantwortlich?
Gegen Goethe wurde vor einigen Jahren anlässlich seines 250. Geburtstags in Büchern und sogar einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog  ein besonders schwerer Vorwurf erhoben: Hat er "für die Vollstreckung der Todesstrafe an einer verzweifelten und von allen verlassenen Kindermörderin plädiert"? War er sogar bei der Entscheidung darüber "das Zünglein an der Waage"? Dem ist die Goethe-Gesellschaft nachgegangen. Dr. Jens Bortloff (1. Vorsitzender) berichtet im folgenden über die wissenschaftliche Beurteilung dieser These:

Titelblatt der Akte betreffend die Kindsmörderin Johanna Catharina Höhn

Quelle: Volker Wahl (Hrsg.) Das Kind in meinem Leib, Weimar 2004.

War Goethe für die Hinrichtung einer Kindsmörderin verantwortlich?

Eine zusammenfassende Richtigstellung.


von Dr. Jens Bortloff, Mannheim (c)


Kontakt: info@goethe-mannheim.de

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Diese Reihe wird fortgesetzt.

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